Nachhaltiger Tourismus – ein gesamtstrategischer Ansatz

Nachhaltigkeit, Dr. Alexander Schuler

Aktuelle Diskussionen wie jüngst angeregt auf dem Deutschen Tourismustag oder durch die neue Förderperiode bewegen mich, ein wenig Klarheit in die Diskussion zu bringen, und die Frage zu beantworten: Was ist Nachhaltiger Tourismus? Gibt es hierfür eine Nachfrage? Das Thema ist meiner Meinung nach nur eingeschränkt als Marketinginstrument geeignet. Angesichts veränderter Rahmenbedingungen und Trends ist der nachhaltige Tourismus vielmehr als gesamtstrategischer Ansatz zu verstehen. Hierzu nachfolgend ein paar Gedanken.


Kurz zur Wiederholung: eine Definition

Die Welttourismusorganisation (UNWTO, 2005) definiert Nachhaltigen Tourismus als „Tourismus, der den derzeitigen und zukünftigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen umfassend Rechnung trägt und dabei die Bedürfnisse der Gäste, der Industrie, der Umwelt wie der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt.“
Darüber hinaus wird von der UNWTO der Anspruch formuliert, dass Tourismus:

  • in optimaler Weise die natürlichen Ressourcen nutzt, dabei diese als wesentliche Grundlage einer touristischen Entwicklung versteht und deshalb hierfür die essentiellen ökologischen Prozesse unterstützt und hilft, das natürliche Erbe und die Biodiversität zu schützen (ökologische Dimension).
  • Respekt zeigt vor der soziokulturellen Besonderheit und Authentizität der Gastgeber, deren gelebten und baulichen Kultur sowie traditionelle Werte schützt sowie zu einem interkulturellen Verständnis und Toleranz beiträgt (soziokulturelle Dimension).
  • Zu einer tragfähigen und auf Langfristigkeit angelegten wirtschaftlichen Entwicklung führt. Hierbei sollen für alle Interessengruppen sozioökonomische Vorteile generiert werden, die auch fair verteilt wurden. Dies inkludiert gesicherte Anstellungsverhältnisse, Einkommensmöglichkeiten und Dienstleitungen für die lokal Beschäftigten in den Gastgeberländern. Tourismus soll ferner zur Armutsprävention beitragen (ökonomische Dimension).

Deutlich wird hierbei bereits: Es geht um mehr als die „grüne“ oder „ökologische“ Betrachtung. Die Welttourismusorganisation hat natürlich die globale Entwicklung im Blick und bei mir geht bei dieser allgemeinen und globalen Definition schnell das Fenster „Tourismus in Entwicklungsländern“ auf. Nachhaltiger Tourismus hat allerdings viel mit der Entwicklung auch in Deutschland zu tun, sowohl als Quell- wie als Zielmarkt. Nachfolgend hierzu mehr.

Gibt es eine Nachfrage nach einem nachhaltigen Tourismus?

Eine internationale Studie der Hochschule Luzern hat 2011 bereits ergeben, dass Kunden bei einem direkten Vergleich von Produkten nicht bereit sind, mehr für ein nachhaltiges zu bezahlen. Gleichzeitig stellen nachhaltige Tourismusprodukte allerdings eine gute Möglichkeit für eine Differenzierung der Produktpalette dar, um so Marktanteile zu gewinnen. Die Studie belegt, dass es einen international interessanten Markt mit einer Zielgruppe von 22% an Nachhaltigkeit interessierten Kunden gibt, die bei der Buchung eines Urlaubes auf Nachhaltigkeitsaspekte achten.
Ein Blick nach Deutschland: Nach Aussagen der Reiseanalyse 2014 sind 19,4 Mio. Personen bzw. 28% der Bevölkerung Nachhaltigkeits-Interessenten. Diese Zielgruppe interessiert sich sowohl für ökologisch wie sozialverträgliche Urlaubsreisen. Die FUR kommt zu dem Schluss, dass Nachhaltiger Tourismus offensichtlich in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist, wobei der Anteil der Personen aus den oberen sozialen Schichten (höhere Bildung, höherer Berufsstand, höheres Einkommen) affiner zu sein scheint für die Angebote als die unteren sozialen Schichten.
Hier wird deutlich: Ja, es gibt eindeutig eine Nachfrage nach nachhaltigen Tourismusprodukten. Aber: Das Forschungsvorhaben „Nachhaltiger Tourismus im Rahmen der Reiseanalyse“ (FUR 2014) beschäftigt sich natürlich – das ist ihre Aufgabe – nur mit der nachfrageseitigen Betrachtung. Diese setzt voraus, dass sich Kunden auch direkt von Produkten mit dem Qualitätsmerkmal „nachhaltig“ angesprochen fühlen oder besser, dieses nur deshalb auch buchen. Vielfach bestehen allerdings auch noch Hürden, die den Gast von der nachhaltigen Gestaltung einer Reise abhalten, wie z.B. dass keine zusätzlichen Kosten entstehen und es keinen Abstrich bei den Urlaubswünschen geben darf (siehe Abbildungen). Nachhaltiger Tourismus ist allerdings auch mehr als nur diese Seite der Medaille. Bitte das Angebot und hierbei nicht nur Quantität, sondern auch die Qualität nicht vergessen. Oftmals ist Nachhaltigkeit drin und muss nicht immer drauf stehen.

Nachfrage nach nachhaltigen Produkten nur eine Seite der Medaille

Ich bin davon überzeugt, dass viele öffentliche und private Akteure sich schon längst mit den zahlreichen Facetten der Nachhaltigkeit beschäftigen, ohne es zu merken bzw. es so zu benennen. Schauen wir uns ein paar dieser Beispielthemen an (vgl. auch Schaubild 1):

  • Regionale Wirtschaftskreisläufe: Regionale Produkte in der Gastronomie, regionale Baumaterialien und Handwerk in der Infrastruktur, vernetzte Angebote von Stadt und Region;
  • Marktorientierte Organisationsstrukturen: DMO-Manager als Moderatoren und Leader der Destinationsentwicklung, Interessenvertreter der öffentlichen und privaten Partner zur Stärkung des Wirtschaftsfaktors wie auch Garanten zur Sicherung der sozialen, ökologischen und kulturellen Ressourcen vor einem „Ausverkauf“, Impulsgeber und Innovatoren für Produkte und Kooperationsbeziehungen;
  • Fachkräftesicherung und Nachwuchsförderung: qualifiziertes Personal, Besetzung offener Stellen, Qualifizierung bestehender Kräfte, Anreize;
  • Inwertsetzung kulturelles Erbe: Bewahrung und Belebung, Storytelling, Authentizität, Brauchtum, regionales Handwerk, gelebte und bauliche Kultur;
  • Kundenzufriedenheit: Beispielsweise regionale Produkte, barrierefreie Angebote, Nutzung von Elektromobilität, zufriedene und qualifizierte Fachkräfte führen zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit und damit verbesserten Weiterempfehlungsbereitschaft;
  • Barrierefreiheit: Lösung für Aktivitäts- und Mobilitätseinschränkungen, „Tourismus für Alle“, Nutzung dieser wachsenden Zielgruppe;
  • Sanfte Mobilität: Elektroautos, E-Bikes, E-Taxis, Segways, Parkleitsystem, Mobilitätszentrale, Bahnhof-Shuttle, „Fahrtziel-Natur“, Gästekarten mit „mobil-all-inclusive“-Lösungen;
  • Reduktion Ressourcenverbrauch: Problem hoher Fixkosten durch Energiepreise, steigende Energiekosten, sinkender Grundwasserspiegel;
  • Förderung Naturerlebnis: Wachsender Trend „Naturerlebnis“, Entschleunigung, Wachsende Märkte: Wandern-, Rad-, Gesundheitstourismus, Umweltbildung für Kinder- und Jugendliche.

Einige Qualitätsmanagementsysteme werben auch mit der Vielschichtigkeit der Vorteile einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema wie z.B. Green Globe. Nach Angaben von Green Globe lassen sich Effizienzeffekte im operativen Management durch die Implementierung ihres Systems und Zertifizierung des Betriebes erreichen wie:

  • Einsparungen im operativen Betrieb von bis zu 11%;
  • Höhere Mitarbeiterzufriedenheit, Verringerung der Fluktuation und damit eine verstärkte Mitarbeiterbindung von bis zu 40%;
  • Steigerung des Immobilienwertes um bis zu 4%;
  • Klare Vorteile im Marketing gegenüber nicht-zertifizierten Wettbewerbern.

Fazit: Nachhaltiger Tourismus ist ein gesamtstrategischer Ansatz

Nachhaltiger Tourismus muss als gesamtstrategischer Ansatz des Unternehmens verstanden werden. Er eignet sich wie oben skizziert nur bedingt für das Marketing. Auch in der Strukturentwicklung und Förderung ist die Nachhaltigkeit angekommen. Die EU hat in der neuen Förderperiode Nachhaltigkeit und Innovation als wesentliche Leitthemen benannt. Wir merken bereits in den Ausschreibungen und Projektskizzen: Sobald es ums Geld geht, wachen viele auf und beschäftigen sich nun mit dem Thema. Vielfach wird sich nun nach diesen neuen Fördermitteln gereckt. Und das lohnt sich bei den 960 Mrd. Euro, die für die verschiedenen Politikbereiche in der neuen Förderperiode bereit stehen. Wichtig wäre es allerdings, dies nicht nur aktionistisch und reaktiv zu tun, sondern sich aktiv, fundiert und umfassend zu überlegen, wie das eigene Unternehmen, der Ort oder die Destination für die Zukunft fit gemacht werden kann. Nachhaltiger Tourismus ist nämlich Qualitätstourismus und angesichts der aktuellen, sich schnell veränderten Rahmenbedingungen, sehr zukunftsweisend. Auf geht´s …

Ein Beitrag von: Dr. Alexander Schuler