Nachhaltigkeit: Mehr als Vermeidung von C02-Emissionen und Reduktion des Wasserverbrauchs

Das im September 2021 in der Sonderausgabe des TN-Deutschland Magazins zum Schwerpunktthema „Nachhaltigkeit“ erschienene Interview von Dr. Alexander Schuler, befasste sich mit der Vielschichtigkeit des Begriffs, den Möglichkeiten für Destinationen, mit kleinen Schritten ins Rollen zu kommen, und warum man in der Kommunikation bei dem Thema unbedingt stärker von Qualitätstourismus gesprochen werden sollte.

Herr Schuler, Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind zwei bestimmende Themen dieses Bundestagswahlkampfs. Wie weit sind die deutschen Destinationen in diesen Bereichen – auch mit Blick auf andere Länder?

Schuler: Ich denke, dass Deutschland in beiden Themen schon recht gut ist: Aber: viele sind beim Thema Nachhaltigkeit noch nicht so weit sind, wie sie sein könnten. Der Blick ins Ausland zeigt: Norwegen, Teile der Schweiz und Österreichs sind da schon weiter. Aber es gibt auch bei uns Regionen, die von sich aus vorneweg marschieren. Zu nennen sind hier zum Beispiel Regionen wie das Saarland, Spiekeroog, die Sächsische Schweiz, der Saarpfalz-Kreis oder der Nördliche Schwarzwald, die sich mit anderen in der Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele, gefördert durch das BMWI und organisiert von TourCert, engagieren. Es tut sich hier also schon etwas. Was die Diskussion des Klimawandels angeht, ist dagegen noch sehr wenig passiert. Aber auf der Ebene der Bundesländer (z. B. Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg) werden zunehmend Studien in Auftrag gegeben, die sich mit den Folgen des Klimawandels in der Tourismusbranche befassen. Dabei geht es für Destinationen primär um die Herausforderung, sich krisenfester aufzustellen, also um das Abfedern der Klimafolgen. Mit Blick auf derlei Maßnahmen ist bei deutschen Destinationen aber noch viel Luft nach oben. Die Ereignisse der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind diesbezüglich warnende Beispiele. Ich weiß lediglich aus der Sächsischen Schweiz, dass hier aus vergangenen Starkregenereignissen Konsequenzen hinsichtlich der Meldekette, Information und Kommunikation gezogen worden sind.   

Aber sind derlei komplexe Aufgabenstellungen überhaupt Aufgabe einer DMO? Oder ist die nachhaltige und krisenfeste Entwicklung einer Region nicht eine Nummer zu groß für eine Tourismusorganisation?

Diese Frage wird oft diskutiert. Und natürlich ist es aufgrund der vor allem kommunalbasierten und -finanzierten DMO nicht möglich, auf alle Bereiche der Leistungskette Einfluss zu nehmen. Aber jede DMO kann bei sich selbst anfangen. Betriebsintern kann in jedem Fall sofort gestaltet werden. Und auf der Ebene mit den Leistungsträgern kann vieles zumindest angestoßen werden. Die DMO sollte hier Schnittstelle und Moderator für Entwicklungen sein. Es geht also um Leadership und eine Managementfunktion nach innen. Und in der Kommunikation zum Gast kann eine DMO ihre Stärken ebenfalls ausspielen: etwa indem nachhaltige Produkte entsprechend platziert werden – oder auch eigene nachhaltige Services wie die inkludierte Nutzung des ÖPNV in Kombination mit Gästekarten etabliert werden.

Aber obwohl der Wille vielerorts da ist, diesen Weg zu gehen, kommen viele nicht in die Umsetzung. Woran liegt das?

Um loslaufen zu können, muss viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Das ist ein oft mehrjähriger Prozess, der damit anfängt, erst einmal die Mitarbeiter in der eigenen Organisation abzuholen. Dann erst kann damit begonnen werden, die verschiedenen Partner und Betriebe der Region ins Boot zu holen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Leute, die mitziehen sollen, nicht gleich abschreckt werden, indem ihnen ein riesengroßer Forderungskatalog mit zig Kriterien an den Kopf geworfen wird. Manchmal ist der Weg der kleinen Schritte der richtige. Und oft ist es sogar so, dass es in einer Region schon ein ordentliches Fundament gibt, weil sich Betriebe schon selbst auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit gemacht haben, dies aber nicht nach außen etikettieren. Es gilt deshalb, immer erst einmal zu schauen, was es vielleicht schon gibt und worauf aufgebaut werden kann. Und ganz wichtig: Das Thema Nachhaltigkeit darf nicht auf Umweltschutzaspekte reduziert werden. Das greift viel zu kurz!

Welche Aspekte gehören noch dazu – du wo verlaufen vielleicht auch Konfliktlinien?

Neben dem wichtigen Schutz der Biodiversität und des kulturellen Erbes für nachfolgende Generationen gehört zur Nachhaltigkeit z. B. die aktuelle Auseinandersetzung mit den Grenzen des Wachstums sowie die Tourismusakzeptanz der Bevölkerung im Blick zu haben. Auch die Produkt- bzw. Erlebnisqualität zur Steigerung wirtschaftlicher Effekte, eine nachhaltige Infrastrukturplanung mit Sicherung der Finanzierung auch über die Fördermittelperiode hinaus und regionale Wirtschaftskreisläufe zur Einbindung regionaler Produkte müssen Destinationen immer im Auge haben, um nachhaltig arbeiten zu können. Auch die Themen Fachkräftesicherung und Betriebsnachfolge sowie Besucherlenkung, allen voran in sensiblen Naturräumen, sind wichtige Teilbereiche eines nachhaltigen Managements. Das Thema Nachhaltigkeit rückt aufgrund seiner Breite genau wie die Digitalisierung ins Zentrum der künftigen Entwicklung. Wenn wir nicht anfangen, den Tourismus ganzheitlich nachhaltig zu betrachten, zu entwickeln und zu verändern, werden immer mehr Destinationen an einen Punkt kommen, an dem die Sache kippt, weil kein Ausgleich mehr zwischen den verschiedenen Interessensgruppen erfolgt. Die Pandemie hat durch die Verschiebung der Gästeströme gerade sehr eindrücklich gezeigt, wie schnell die Angst vor einer touristischen Überformung hierzulande Realität werden kann.

Wenn das Thema Nachhaltigkeit so vielschichtig ist, warum wird es in der Kommunikation nach außen dann meist nur auf den Aspekt des Umweltschutzes zugespitzt? Manchmal wirkt es sogar wie Greenwashing, beispielsweise wenn Hotels Gästen völlig überladene Buffets anbieten, gleichzeitig aber darum bitten, die Handtücher mehrmals zu benutzen.

Mit dem Begriff Greenwashing würde ich aufpassen. Vieles läuft beim Thema Nachhaltigkeit im Hintergrund und muss nicht zwingend nach außen, aber nach innen behandelt werden. Vielen Betrieben und Regionen ist aber tatsächlich auch nicht bewusst, was alles zum Thema Nachhaltigkeit dazugehört: dass es also nicht nur um den CO2-Fußabdruck und den Wasserverbrauch geht. Ohnehin ist es eher illusorisch, dass ganze Regionen inklusive aller Betriebe innerhalb weniger Jahre zu 100 Prozent nachhaltig werden. Das ist unrealistisch. Das hat schon die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), beziehungsweise ihr Vorgänger, die GTZ, vor 20 Jahren erkannt. Viel mehr und schneller erreichen wir, wenn sich alle ein bisschen auf den Weg machen und ein paar Prozent nachhaltiger werden. Die Masse macht’s und diese gilt es Stück für Stück in Bewegung zu bringen!

Welche Projekte begleitet BTE derzeit, die Orientierung geben und zeigen, wie man ins Rollen kommt?

Wir prüfen zum Beispiel derzeit das Potenzial des Harzes, sich als nachhaltige Urlaubsdestination zu positionieren, etwa indem wir erst einmal herausfinden, welche und wie viele Anbieter es dort schon gibt, die sich auf den Weg gemacht haben. Mit Usedom arbeiten wir gerade in Kooperation mit einem Verkehrsplanungsunternehmen an den Themen Tourismus, Leben und Arbeiten und Verkehr. Ein für die Insel besonders drängendes Feld, weil es zum einen auf deutscher Seite nur zwei PKW-Anreisewege gibt, die Gästezahlen stetig steigen und starke Pendlerrelationen zwischen den Inselgemeinden bestehen. Zum anderen wollen wir aber auch schauen, ob nicht alternative Möglichkeiten existieren, wie sich sowohl Gäste als auch Einheimische auf der Insel bewegen oder wie durch Maßnahmen zur Stärkung der Vor- und Nachsaison Besucherströme besser kontrolliert bzw.  gelenkt werden können. Auch hierbei ist die Reduktion von CO2-Emmissionen ein Ziel. Für Pellworm haben wir gerade ein Rahmenkonzept entwickelt und geprüft, ob die Insel Teil des Biosphärenreservats Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer werden kann. Hierbei gab es unglaublich viele Schnittstellen zwischen Tourismus und anderen Bereichen wie bspw. Landwirtschaft, Natur- und Umweltschutz zu berücksichtigen. Oder für die Sächsische Schweiz entwickeln wir gerade ein komplett neues Leitbild, obwohl die Region bereits eine TourCert-Zertifizierung als Nachhaltiges Reiseziel besitzt. Trotzdem bedarf es einer Weiterentwicklung der bisherigen Ausrichtung. Zum Beispiel soll die Frage beantwortet werden, wie es gelingen kann, dass die Destination wegen verbesserter Verkehrsanbindungen nicht perspektivisch von Gästen überrannt wird. Gerade abgeschlossen wurde die Fortschreibung der regionalen Tourismusstrategie 2025 für den Saarpfalz-Kreis inkl. BR Bliesgau. Auch hier spielt Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle.

Apropos Gast: Viele meinen, dass Aufenthalte in einem nachhaltig ausgerichteten Betrieb oder einer entsprechend positionierten Region, teurer sind. Laufen Urlaubsgebiete, die sich grün ausrichten, so nicht Gefahr, ganze Kundengruppen zu verlieren?

Mehr Nachhaltigkeit muss für den Gast nicht unbedingt teurer sein. Aber eine Region sollte ohnehin nicht versuchen, Kunden primär über den Preis von sich zu überzeugen. Viel wichtiger sind das Reiseerlebnis und die Aufenthaltsqualität. Wenn das stimmt – und der Gast obendrein noch ein gutes Gefühl hat, weil er weiß, dass hier nachhaltig gearbeitet wird –, gewinnen Destinationen neue Zielgruppen für sich. Und zwar Zielgruppen, die durchaus bereit sind, auch ein paar Euro mehr zu bezahlen. Kundengruppen, die es schätzen, dass die Zutaten der Gerichte auf der Speisekarte, wo immer möglich, von regionalen Erzeugern stammen. Aber vielleicht liegt ein Fehler auch in der Kommunikation zum Gast: Der Kunde sollte nicht nur transportiert bekommen, dass er ein nachhaltiges Reiseerlebnis bucht. Die Message muss sein, dass nachhaltiger Tourismus gleich Qualitätstourismus ist. Ich fände es klug, wenn wir statt immer des Begriffs Nachhaltigkeit in der Kommunikation mehr über qualitätsorientierte Erlebnisse sprechen würden. Vielleicht könnten wir so das behavoir-action-gap etwas schließen. Dieses besagt, dass sich aktuell 57 Prozent der Bundesbürger einen möglichst sozialverträglichen und ressourcenschonend gestalteten Urlaub wünschen. Nur 4 Prozent aber machen diese Punkte dann wirklich zu einem wichtigen Entscheidungskriterium für die nächste Buchung. Das müssen wir gemeinsam schaffen, zu ändern.

Zur Person: Dr. Alexander Schuler ist Sprecher der Geschäftsführung der BTE Tourismus- und Regionalberatung. Aufgewachsen im ländlichen Raum in Niedersachsen in einer Gastronomiefamilie, studierte er Wirtschafts- und Sozialgeografie, Soziologie und Umweltwissenschaften an der Universität Potsdam und promovierte später berufsbegleitend zum Thema „Management der Bildung und Veränderung von Destinationen“ an der Leuphana Universität. Vor seinem Wechsel zu BTE gründete er ein Beratungsunternehmen an der Schnittstelle zum Tourismus in Dresden. Seine Arbeitsschwerpunkte: Tourismuskonzepte und -marketing, Organisationsberatung, Marktforschung und Coaching.