Wirtschaft ist für den Menschen da

Gemeinwohlökonomie Hartmut Rein

Die Gemeinwohlberichterstattung im Tourismus

Vor kurzem hatte ich die Möglichkeit, auf dem „Spa Market Congress 2016“ in Stuttgart die Gemeinwohlberichterstattung von BTE vorzustellen. Zusammen mit Stefan Fauster vom Drumlerhof, einem gemeinwohlbilanzierten Wellness-Gasthof in Südtirol, konnten wir in einem gemeinsamen Themenblock den Teilnehmern einen Einblick in die Gemeinwohlökonomie geben und erläutern, warum wir die Gemeinwohlbilanz für unsere Unternehmen gewählt haben, um unsere Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung zu verbessern und zu dokumentieren. In diesem Blogbeitrag möchte ich einige Kernideen der Gemeinwohlökonomie vorstellen.

Was ist die Gemeinwohlökonomie?

Die Gemeinwohlökonomie ist ein alternatives Wirtschaftsmodell, bei dem als Ziel des wirtschaftlichen Handelns nicht primär die Mehrung von Kapital sondern die Mehrung des Gemeinwohls im Mittelpunkt steht. Mittels eines Gemeinwohl-berichts lässt sich der Beitrag eines Unternehmens zum Gemeinwohl systematisch dokumentieren und mittels der Gemeinwohl-Matrix messen. Dieser, über die gängige CSR-Berichterstattung hinausgehende Ansatz, hat uns bei BTE überzeugt und veranlasst, eine Gemeinwohlbilanz für den Standort Berlin zu erstellen.

Warum Gemeinwohlberichterstattung statt nur CSR?

Während die CSR-Berichterstattung das bestehende Wirtschaftssystem in den industrialisierten Staaten in der Regel nicht in Frage stellt, sucht die im Jahr 2010 begründete Gemeinwohlökonomie nach Alternativen. Ausgangspunkte waren die zahlreichen Krisen der letzte Jahre, wie z.B. die Finanzkrise bzw. Bankenkrise, die Immobilienkrise in den USA, die hohe Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Staaten, der Klimawandel, die alle Zeugnisse einer Situation sind, die ein „weiter so“ und ein auf grenzenlosem Wachstum beruhendes Wirtschaftsmodell als nicht zukunftsfähig zeigen, wie ihr Begründer, Christian Felber, betont.

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 14 Absatz 2 von 1949. Etwas früher formuliert die Verfassung des Freistaates Bayern 1946 in Artikel 151 in aller Klarheit „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Auch in den Verfassungen anderer Staaten finden sich ähnliche Ziele, die jedoch im Zuge der Globalisierung und Liberalisierung der Märkte weit in den Hintergrund gerückt sind. Die Rückbesinnung auf Verfassungswerte ist eines der zentralen Anliegen der Gemeinwohlökonomie.

Die Gemeinwohlökonomie ist ein an ethischen Grundwerten ausgerichtetes marktwirtschaftliches Modell, das jedoch einige als unumstößlich geltende „Glaubenssätze“ in der Wirtschaft in Frage stellt, z.B. das Prinzip von grenzenlosem Wachstum.
Drei wesentliche Ziele, die über die gängige CSR-Berichterstattung hinausgehen, stehen im Mittelpunkt der Gemeinwohlökonomie:

  • 1. Auflösung des Wertewiderspruchs (Paradox) zwischen der Wirtschaft und der Gesellschaft. Während unser gesellschaftliches Zusammenleben auf Werten wie Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität, Teilen, Naturverbundenheit beruht, basiert unser Wirtschaftssystem auf grenzenlosem Gewinnstreben, Konkurrenz und Egoismus. In der Wirtschaft sollen dieselben Verhalten und Werte belohnt und gefördert werden sollen, die auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Naturverbundenheit, Solidarität und Teilen.
  • 2. Umsetzung der Werte und Ziele unserer Verfassungen in der Wirtschaft. Zweck allen Wirtschaftens ist nicht die Mehrung des Kapitals, sondern des Gemeinwohls. Die gegenwärtige realverfasste Wirtschaftsordnung widerspricht dem Geist der Verfassungen.
  • 3. Umstellung der wirtschaftlichen Erfolgsmessung von den Mitteln (Tauschwerte = Geld) auf die Ziele des Wirtschaftens (Nutzenwerte). Der Zweck allen Wirtschaftens ist nicht die Mehrung des Kapitals, sondern des Gemeinwohls.

Diese Erkenntnis findet heute selbst in Kreisen Akzeptanz, die nicht für systemkritische Einstellungen bekannt sind. So ist zum Beispiel in einer Schrift der IHK Ostbrandenburg zum Thema „Der ehrbare Kaufmann“ zu lesen, dass bedingungslose Gewinnmaximierung nicht die Lösung für marktwirtschaftliche Systeme der Zukunft ist. Vielmehr garantieren nur Weitblick und das Streben nach mittel- und langfristigen Perspektiven Nachhaltigkeit.
Viele der von der Gemeinwohlökonomie angestrebten Veränderungen sind schon im Gange, wie die Entwicklung der Sharing Economy (Teilen statt Besitzen) oder die Glücksforschung, welche die Lebenszufriedenheit misst (z.B. mit dem gerade wieder veröffentlichten Deutsche Post Glücksatlas 2016), oder auch die Neuorientierung des Marketing, hin zum sinn- und werteorientierten Marketing 3.0, als aktuelle Beispiele zeigen.
Mit der Erstellung einer sogenannten Gemeinwohl-Bilanz entscheiden sich Unternehmen freiwillig, den Weg ethisch-ausgerichteten Wirtschaftens zu beschreiten. Sie analysieren und bewerten den Unternehmenserfolg qualitativ und quantitativ anhand von 17 Indikatoren, die den Werten Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz sowie der ökologischen Nachhaltigkeit zugeordnet sind. Umweltrelevante Indikatoren sind beispielsweise die Reduktion negativer ökologischer Auswirkungen oder die ökologische Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen. In der Gesamtheit der Indikatoren geht die Betrachtung weit über den Bereich der angebotenen Produkte bzw. Dienstleistungen hinaus: die Lieferkette wird in Bezug auf die genannten Werte genauso beleuchtet wie der Umgang mit den Mitarbeitern, die Beziehungen zu Geldgebern und Mitbewerbern und das gesellschaftliche Engagement.

Unternehmen wie VAUDE (Hersteller für Outdoor-Equipment), Ökofrost, Märkisches Landbrot, die Sparda-Bank München, fairmondo, die Tageszeitung (taz) und etliche andere mehr haben inzwischen in Deutschland eine Gemeinwohlbilanz erstellt. Insgesamt sind es inzwischen 2.191 Unternehmen und Organisationen, 8 Gemeinden/Regionen sowie 6.909 Privatpersonen, welche die Gemeinwohlökonomie unterstützen (www.ecogood.org, Stand 20.10.2016).

Die Gemeinwohlberichterstattung im Tourismus

Die Ideen der Gemeinwohlökonomie finden auch im Tourismus Anklang. Hier sind es vor allem Südtirol und Österreich, in denen inzwischen eine Reihe von touristischen Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erarbeitet und vorgelegt haben und eine Vorreiterrolle übernehmen. Überraschend festzustellen ist, dass die Idee der Pauschalreise, deren Erfindung vor allem Thomas Cook zugeschrieben wird, in einem gemeinwohlorientierten Ansinnen ihren Ursprung hatte, wie in der Thomas Cook-Biographie von Jörn W. Mundt nachzulesen ist. So war es das Ziel der ersten Pauschalreisen von Thomas Cook, als gläubiger Baptist und bekennender Temperenzler, die durch Alkohol verstärkte Verelendung der Arbeiterklasse in den Industrieregionen Englands durch die Vermittlung positiver (Reise-)Erlebnisse zu bekämpfen. Sie dienten also nicht der Profiterzielung, sondern der Bekämpfung des Alkoholismus. Erst später und vor allem unter seinem Sohn John Mason Cook wurden Pauschalreisen zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Geschäftsmodell und als Wiege des Massentourismus entwickelt.

Tourismusunternehmen, die den Weg der Gemeinwohlbilanzierung beschreiten, werden vermutlich von Unternehmensinhabern geführt, die erkannt haben, dass noch mehr materieller Wohlstand nicht zu mehr individueller Zufriedenheit führt. Postmaterielle Werte, wie Glück, Zufriedenheit und Erfüllung für Inhaber und Mitarbeiter, können nur durch eine sinnvolle Arbeit und eine ethische und nachhaltige Unternehmensführung erreicht werden. Damit sind diese Unternehmen auch in der Lage glaubhaft zeitgemäßes, werteorientiertes und sinngeleitetes Marketing, sogenanntes „Marketing 3.0“ nach Philip Kotler zu betreiben.
In Deutschland ist die Idee der Gemeinwohlökonomie im Tourismus noch weitgehend unbekannt. Eine Gemeinwohlbilanz haben bisher erst einzelne Nachhaltigkeitspioniere, wie z.B. das Biohotel Burg Lenzen, das Naturfreundehaus Hannover, die Pension Radhof in Erfurt, das Naturhotel und Tagungshaus Stiftsgut Keysermühle gGmbH in der Pfalz sowie BTE Tourismus- und Regionalberatung in Berlin als Tourismus-Consulting Unternehmen vorgelegt. Die Idee, den eigenen Beitrag zum Gemeinwohl zu analysieren und zu dokumentieren, steht damit im Deutschlandtourismus noch am Anfang.

Ein Impuls für die Gemeinwohlökonomie im Tourismus kann neben der von der EU 2014 erlassenen Richtlinie, die alle Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden verpflichtet einen CSR-Bericht vorzulegen, von den im April 2016 in Kraft getretenen neuen Regelungen des EU-Beihilfe-, Vergabe- und Steuerrechts ausgehen. Die meisten Tourismusorganisationen erhalten Zuwendungen der öffentlichen Hand, da sie Aufgaben der allgemeinen Wirtschaftsförderung, wie Tourismus- oder Stadtmarketing, durchführen. Dabei kann es sich um unzulässige Beihilfen im Sinne des EU-Beihilferechts handeln, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Zuwendungen der öffentlichen Hand sind nur zulässig, wenn es sich um „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (DAWI) handelt (vgl. DTV 2016). Diese „erfordern den Nachweis, dass die Dienstleistungen sowohl dem Allgemeinwohl dienen als auch aufgrund eines Marktversagens ohne staatliche Eingriffe am Markt von privaten Marktteilnehmern entweder überhaupt nicht (in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit) oder nur zu anderen Standards durchgeführt würden.“ (DTV 2016, S. 3). Die Ausrichtung einer touristischen Organisation bzw. eines touristischen Unternehmens und seiner Unternehmensaktivitäten am Gemeinwohl lässt sich mit einer Gemeinwohlbilanz umfassend und systematisch dokumentieren.

Fazit

Meine persönliches Fazit ist, dass wertegeleitete touristische Unternehmen durch die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz unterstreichen, dass sich über die gängige CSR-Berichterstattung hinaus für gemeinsame Werte und Ziele einzusetzen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken. Damit zeigt das touristische Unternehmen, dass es die Entwicklung eines Wirtschaftssystems unterstützt, in dem das Gemeinwohl an oberster Stelle steht.

Ein Beitrag von: Dr. Hartmut Rein